Überfahrt La Palma -> Kapverden

Wir können es nicht leugnen: Etwas mulmig ist uns beim Ablegemanöver von Santa Cruz de La Palma schon. Die Aussicht, ungefähr acht Tage auf hoher See, umgeben von Wasser, das teils bis zu 5000 Meter in die Tiefe reicht, zu verbringen... Am besten nicht allzu stark darüber nachdenken! Wir schlecken im Städtchen noch ein mutmachendes Glacé und dann geht's am späten Nachmittag los, auf nach Afrika. Langsam wird die kanarische Insel mit dem jüngsten Vulkanausbruch kleiner und kleiner. - Die Wellen hingegen nicht erwähnenswert grösser. Wir haben gelernt und die familientaugliche Windstärke herausgefunden: 12 - 16 Knoten sind ideal, umso besser, wenn auch die Wellenberge nicht über 1.5 Meter sind. Die Vorhersage passt, wir rechnen mit Böen knapp über 20 Knoten. Auch das Essen ist für zwei Tage vorgekocht, der Menuplan steht und die Zutaten sind griffbereit versorgt. In den Kojen sind die Leesegel - Kleine Segel, die zwischen die Betten gespannt werden, damit bei starkem Gewackel niemand aus seinem Bett rutscht - installiert und die Bugkabine, wo Janosch und Nico gewöhnlich schlafen, ist zum Materialraum umfunktioniert. Für Überfahrten müssen nur vier Betten bereit sein, die Erwachsenen halten abwechslungsweise Wache und behalten Segel, Windsteueranlage, die Umgebung und den Kurs im Auge.

 

Die Tage schaukeln auf eine gute Art ereignislos dahin. Lio, Janosch und Nico erledigen Schulaufgaben, wenn der Wellengang nicht zu stark ist wird gespielt, Essen gekocht, abgewaschen, Aurel flickt die Toilettenpumpe und als Dusche reicht ein Eimer Meerwasser; alles dauert ein bisschen länger, wenn das Gleichgewicht dauernd ausbalanciert werden muss. Ganze Schwärme von Fliegenfischen flattern über Wellen, um kurz darauf wieder einzutauchen. Ein paar von ihnen landen leider nachts auch auf unserem Deck. Keine schöne Entdeckungen, aber immerhin können wir diese seltsamen Tiere, die sich nicht richtig zwischen Vogel und Fisch entscheiden konnten, genauer erforschen. Noch in der Nähe von La Palma sehen wir einen Brydwal springen, tags darauf jagen in der Ferne Delfine ihr Mittagessen. - Oder waren es zwei Tage darauf? Die Stunden laufen ineinander über, die Sonne scheint und in der Nacht leuchten unzählige Sterne um die Wette.

 

Wir kommen gut voran, der Wind lässt uns nicht im Stich. Die Stimmungen, die das Licht auf das Meer zaubert, sind unbezahlbar. Was für eine riesige Masse an Wasser, die so viel zu unserem Klima beiträgt. Nachts, wenn die Dunkelheit auch die Sicht auf das Meer verschluckt, könnte sich Verlassenheit breitmachen. Zum Glück fühlt es sich anders an auf Rocinante, nach "Zuhause". Wir haben unsere gewohnten Kojen dabei, sind unter uns, nerven uns ab und zu, aber im grossen Ganzen sind alle fit und munter und fühlen sich wohl. Am letzten Tag bevor wir unser Ziel erreichen, sorgen zudem unzählige Delfine für Glücksgefühle. Sie umschwärmen unser Schiff mehr als eine Stunde, führen gewagte Sprünge vor und schiessen wie Pfeile durch das Wasser. Was für ein Erlebnis!

 

Die Ankunft rückt näher, plötzlich tauchen die Umrisse von Sal, der nördöstlichsten Insel der Kapverden, im Dunst über dem Horizont auf. Es ist seltsam, aus der Familienblase aufzutauchen und sich darum zu kümmern, wie die Ankerbucht vor Palmeira angefahren werden muss. Wir sind gespannt, haben viel gehört von freundlichen Menschen, aber auch von Überfällen in Ankerbuchten. Wie wird es sein, in die afrikanische Kultur einzutauchen? Kaum in die Bucht eingelenkt, fährt Guillaume der französischen "Hakuna Matata" mit ihrem Dinghy auf uns zu, seine Söhne winkend an seiner Seite, Mutter Melany ruft ein fröhliches "Bonjour!" vom Deck ihres Schiffes. Ein fremdes Land, ein neuer Kontinent, und wir werden von bekannten Gesichtern begrüsst: Eine wunderbare Überraschung! Den Anker setzen wir direkt neben ihnen, ein Mann weist uns von seinem Holzschiff aus an, wo der Grund perfekt ist. Er stellt sich kurz darauf als "Jay" vor, begrüsst uns herzlich und gibt uns seine Kontaktangaben, sollten wir irgendetwas brauchen. Er füllt von seinem Schiff aus Wasser in die Tanks, hilft bei Reparaturen und nimmt sogar die Wäsche mit. Noch bei seiner Abfahrt fährt das nächste Dinghy heran, die Nachbarn zu unserer Linken. Noch eine Überraschung: Es sind Gael und sein Sohn von der französischen "Pluie de nuit", die wir bereits in Teneriffa kennengelernt haben. Es fühlt sich ein bisschen an, wie nach Hause zu kommen.

 

Schliesslich lehnen wir kurz zurück. Wir haben sieben Tage auf hoher See verbracht, haben einen Drittel der Atlantikpassage gemeistert. Wir sind erleichtert, dass alles geklappt hat. Und stolz auf Lio, Janosch und Nico, die diese Etappe wirklich sehr gut geschafft haben. Wir richten das Schiff wieder wohnlich ein und dann sind wir bereit für neue Abenteuer. Der erste Landgang steht an!