Über den Atlantik

 Der Wind bläst uns kräftig um die Ohren, hinter uns verblassen die kapverdischen Inseln nach und nach, bis sie schliesslich in der anbrechenden Dunkelheit verschwinden. Erleichterung macht sich breit, nach all den Vorbereitungen abgelegt zu haben. – Gemischt mit dem ungläubigen Gefühl, jetzt wirklich den Atlantik als fünfköpfige Familie segelnd zu überqueren. Lange haben wir darüber nachgedacht, uns mit dieser Strecke auseinandergesetzt, bis sich schliesslich das Gefühl: «Doch, das ist machbar!» durchgesetzt hat. So sitzen wir jetzt im Cockpit, plaudern bis wir müde sind und die erste Nachtschicht einsetzt. Das Wetterfenster verspricht für die – bis anhin voraussagbaren Tage – konstanten, mässigen Wind, wie wir ihn mögen. Mit uns haben etliche Schiffe abgelegt, die die Vorhersage ebenso einschätzen.

 

In den kommenden Tagen richten wir uns in der Bordroutine ein. Jeder Handgriff braucht etwas länger Zeit, nichts darf herumliegen, da es bei Rocinantes Galopp wegrutscht. Kochen und Abwaschen sind dementsprechend anspruchsvoll, Kartenspiele schwierig. Die Lesenden lesen viel, die Kinder spielen unzählige Spiele mit allem, was sie in die Hände bekommen und Schule findet vor allem mündlich statt. Für besondere Unterhaltung sorgt die "Offshore-Challenge", die uns die liebe Tante Cécile extra mitgegeben hat und an der wir jeden Tag ein bisschen knobeln. Wichtig ist: Alle fühlen sich wohl, niemand hat Angst, die Wellen sind nicht hoch und die Aussicht ist bezaubernd. Jeden Tag malt die Sonne neue Stimmungen auf die Weite, das Wasser glitzert in Grau- bis Blautönen und die Fliegenfische segeln in ganzen Schwärmen über das Meer.

 

Doch dann: Planänderung! Immer stärker zeichnet sich in den täglich über Satellit auf den Computer geladenen Wetterdaten ab, womit wir – und all die anderen Schiffe, die ebenfalls unterwegs sind – nie gerechnet hätten: Der Passat wird in den kommenden Tagen schlicht ausgeschaltet. Ein Tiefdruckgebiet nördlich von uns wird vom Hoch über den Azoren dermassen nach Süden gedrückt, dass sich ein Flautengürtel ausbreitet. Ein wirklich unübliches Ereignis, insbesondere im Dezember, in dem der Passat eigentlich am konstantesten von Ost nach West pustet. Ist es das Klima, das sich erhitzt und zu neuen Wetterphänomenen führt? Das Meer, das wärmer wird? Die Folgen von Letzterem jedenfalls zeigen sich mitten auf dem Atlantik, weit weg von jeglichem Festland, ebenfalls. Wir fahren durch unglaubliche Felder von Braunalgen, die sich wie riesige Teppiche über das Meer ausbreiten.

 

Wir atmen tief ein, die Aussicht, einige Tage weit weg von jeglicher Zivilisation auf dem Atlantik festzuhängen, hat schon etwas Beklemmendes. Genug Diesel, so viele Tage mit dem Motor zu überbrücken, gibt unser Tank nicht her. Also atmen wir auch wieder tief aus, fügen uns in unser Schicksal und sehen es positiv: Wir haben genug zu essen und zu trinken, genug Campinggas zum Kochen und unsere Situation ist absolut ungefährlich. Sie fordert einfach ein bisschen Geduld. Wir brauchen den Motor hier und da, damit wir nicht abtreiben und vom Kurs abkommen, überbrücken ab und zu ein paar Stunden über Nacht, segeln auch beim kleinsten Lüftchen und stellen uns auf eine weiter entfernte Ankunft ein. Unser lieber Wädenswiler Nachbar Philipp – selbst passionierter Segler - begleitet uns weiterhin mit seinem Blick auf die Grosswetterlage, Ratschlägen zu unserem Kurs und hält uns mit WM-Ergebnissen und Rätseln bei Laune. Bei vorherigen längeren Passagen hat sich Julia, die Schwester des Schiffseigners Jan, dafür die Zeit genommen. Ganz herzlichen Dank an dieser Stelle an sie beide!

 

Der Atlantik bietet trotz seiner Masse an Wasser unerwartete Unterhaltung, die Reise gestaltet sich weniger monoton als befürchtet. Ein weisser Vogel begleitet uns einige Stunden an Deck und schaut wie ein Spion durch’s Fenster, als ob er uns bestätigen möchte, dass es irgendwo Land gibt. Ein Schmetterling flattert zu uns, er allerdings wurde wohl wie wir von der Flaute überrascht und bei seinem Flug von Südafrika in den Norden jäh vom Himmel geholt. Einmal nutzen wir die Windstille für einen kurzen Schwumm im Meer. Weit weg von jeglichem Land begegnen wir nachts grell erleuchteten Fischtrawlern ohne eigentlich obligatorischem Erkennungszeichen und müssen unter Sternenhimmel riesigen Fangnetzen ausweichen, deren Markierungen mit Bojen über weite Strecken reichen. Illegale Fischerei, ein zusätzliches Desaster für das Ökosystem. Ausgesetzt auf dem Atlantik, abhängig von der Gunst der sich gegenseitig beeinflussenden Wettersysteme, bringt all das noch stärker zum Grübeln.

 

Schliesslich zeichnet sich Besserung ab, der Passat beginnt, begleitet von dichten Wolkenwänden, Fahrt aufzunehmen. Was für ein Gefühl! Wir mögen uns alle sehr, trotzdem sind wir nach zwei Wochen in unserer Familienblase froh, dass uns der Wind nun Richtung Land bläst. :) Obwohl die See nach wie vor beeindruckend ist und unsere Muskeln durch die Bewegungen des Schiffes immer aktiv sind, freuen wir uns auf Menschen um uns herum und darauf, am Land einige Schritte zu tun. Nach 20 Tagen ist es so weit: Land in Siiiicht, gespickt mit Glücksgefühlen! Wir lassen den Anker in der Bucht vor Bridgetown in Barbados fallen und freuen uns wahnsinnig, diese Passage gemeinsam gemeistert zu haben.