Bevor sich das Jahr 2022 definitiv dem Ende zuneigt, lösen wir uns nur schwer von der einnehmenden Stimmung Grenadas und segeln nordwärts zur kleinen Insel Carriacou. Anders als erwartet müssen wir gegen den Wind aufkreuzen, was bedeutend mehr Zeit in Anspruch nimmt: Aus geschätzten sechs Stunden Fahrt werden deren neun. Nicht nur wir sind nach der Ankunft platt, auch die Familie der Hakuna Matata, die das geiche Ziel angesteuert hat, so dass deren Silvester-Einladung ins Wasser fällt. Wir bemühen uns zu fünft noch ein bisschen um gute Stimmung und Feierlaune, enden jedoch mit müder Streitlaune früh im Bett. - Frohes neues Jahr! ;) Am nächsten Morgen holen wir die hübschen Servietten und den teuren Traubensaft aka Kinderchampagner wieder für ein ausgiebiges Frühstück hervor und beginnen das Jahr 2023 ausgeschlafen und in bester Anstossstimmung. Am Abend holen wir auch das Abendessen bei unseren Freund:innen nach und so kommt auch der Moscato für die Grossen doch noch zum Einsatz. Manchmal muss man eben auch bei Feiertagen flexibel bleiben.
Wir erkunden die Umgebung der Tyrell Bay, das Dorf, das mit Anführungszeichen versehen werden könnte, es besteht hauptsächlich aus Angeboten, die auf ankernde Segelschiffe ausgerichtet sind: Kleine Restaurants, eine Wäscherei, ein Supermarkt, zwei Werften, ein Bootszubehör-Laden und ein paar wenige Wohnhäuser. Offensichtlich, dass Segler:innen hier gern gesehen werden. Es ist gemütlich, Musik lässt die warme Luft schwingen und es gibt sogar eine Segelmacherin, bei der wir uns bereits angekündigt haben. Das Segler:innen - Sprichwort "Hast du ein Schiff, hast du ein Problem", hat sich auf unserer bisherigen Reise bewahrheitet, immer wieder gibt es etwas zu reparieren, zu putzen oder eben zu nähen, so wie jetzt eine Öse an unserem Grosssegel, die ausgerissen ist. Lustigerweise wird sie von einer Schweizerin genäht, die die Karibik für sich entdeckt hat und seit Jahren hier lebt.
Überhaupt scheint es so, als ob Schweizer:innen gerne unterwegs sind. So klopft es plötzlich an Roci's Rumpf und auf Schweizerdeutsch werden wir gefragt: "Seid ihr die Famlie Valentin?". Verdutzt bejahen wir die Frage, uns gegenüber schaukelt Michael in seinem Dinghy. Er setzt sich zu uns an Deck und erzählt, dass ihm der Artikel, der über uns in der Zürichsee-Zeitung erschienen ist zugeschickt wurde und er sich deshalb hier nach uns umgesehen hat. Was für ein Zufall! Nicht der einzige, wie sich später beim Apéro auf seinem Schiff zeigt: Michael lebt seit fünf Jahren auf hoher See, nachdem er sein Tortilla-Unternehmen in unserer Schweizer Wohngemeinde verkauft hat. Wir schütteln noch auf der Heimfahrt ungläubig den Kopf über die Anhäufung von Zufällen, die zu dieser netten Begegnung geführt hat und brausen durch das Meer zurück nach Hause oder viel mehr zurück zum Schiff.
Wenige Tage später ist wieder alles gewaschen und geflickt, also Anker los! Wir setzen über nach Clifton, dem Hauptstädtchen von Union Island. Das Einklarieren dauert diesmal gefühlt ewig, wir stehen uns in der Immigrations-Office die Beine in den Bauch. Die Stimmung bröckelt und die häufigen Regengüsse tragen ihren Teil dazu bei. Immer wieder werden wir auf dem Dinghy von prasselndem Niederschlag durchnässt und verlassen das Schiff dementsprechend weniger. Da wir seit unserer Ankunft auf dieser Seite des Atlantiks immer vor Anker leben, wird es ein bisschen eng mit so wenig Auslauf und der fehlenden Bewegung, die an sonnigen Tagen durch das Schwimmen um Rocinante ausgeglichen wird. Lange Rede, kurzer Sinn: Wir gehen uns ein bisschen auf die Nerven. Was könnte helfen? Ein paar neue Gesichter! Wir sehen es als Schicksal, dass sich just am Launentiefpunkt eine andere Familie meldet, die unseren Standort auf dem etwa 100 Segelmütter und -väter umfassenden "Kidsboat - Chat" entdeckt hat und uns treffen möchte; Treffpunkt: Das Naturreservat Frigate Island.
Wir legen die kurze Strecke am folgenden Tag zurück und sehen uns zuerst auf der winzigen Insel um. Pelikane schiessen wie Pfeile ins Meer, um ihr Essen zu fischen, hier und da zwitschern unbekannte Vogellaute aus dem Geäst und das Gras leuchtet so bestechend grün, als ob ein Filter darüber gelegt worden wäre. Leider schwemmt es von beiden Seiten Plastik auf das kleine Eiland, darüber täuschen auch die beeindruckenden Muscheln nicht weg. Am späten Nachmittag treffen wir uns wie vorgesehen mit der französischen Familie der "Phileas Fogg II" am Strand, eine weitere Familie schliesst sich ebenfalls an. Bei gemütlichem Feuerprasseln plaudern wir bei Bier und Sirup über das Reisen und das Leben, das sich hier bei allen Stimmungen und Schwierigkeiten doch immer wieder lebendig und erfrischend anfühlt. Zufrieden tuckern wir zurück zum Schiff, nicht ohne uns für die folgenden Tage in der nächsten Bucht, der Chatham Bay, zu verabreden. Diese stellt sich als Volltreffer heraus: Nur wenige Schiffe ankern vor Ort, das Wasser ist klar und drei winzige Restaurants mit lokalem frischem Essen verführen dazu, das Gas für die Herdplatte wieder einmal abgedreht zu lassen. Wir geniessen diese Tage, treffen die Phineas Fogg - Familie am Strand, schnorcheln nach der Schulzeit und geniessen diese ruhige Oase der Karibik.