Azoren -> Portugal - Portimao - Alvor - Vilamoura

Ponta Delgada, die Hauptstadt der Azoren auf der Insel Sao Miguel, verschwindet langsam, aber sicher hinter uns und uns wird jetzt richtig bewusst: Das ist die letzte längere Überfahrt unserer Reise! Langsam fühlt es sich an wie ein Abschied auf Raten, immer noch ein Stück weiter, ein Schritt mehr hin zum Festland, nach Portugal, dem Startpunkt dieser etwas verrückten Familienreise. Der Wind bläst uns wie erwartet ins Gesicht, das heisst, wir müssen gegenan segeln. Ein Kurs, der nicht besonders toll zu fahren ist, mit ihm verbunden ist starke Krängung - Schieflage - die dauernd mit dem Körper ausbalanciert werden muss. Wir brausen dahin, das Tempo passt, die Windstärke eigentlich auch, nur die Richtung, aus der der Wind uns voran treibt, dürfte sich nach drei Tagen wirklich wie vorhergesagt ändern. Doch alles bleibt schief, beim Kochen muss alles festgehalten und sofort wieder versorgt werden, damit es sich nicht selbständig einen neuen Platz verschafft, in der Koje rutschen wir trotz gespannten Leesegeln fast aufeinander und werden an die Wand gepresst und auf dem Klo gilt es, sich gut an der Wand abzustützen, da die Sitzposition Ähnlichkeiten mit derjenigen auf einer Achterbahn hat. - Beim Hinunterfahren, wohl gemerkt. Ausserdem müssen wir einen viel südlicheren Kurs einschlagen als geplant und die Strecke wird entsprechend länger. Nun gut, sich gemütlich hinzusetzen wird überschätzt und auch in einer durch Wackelgang halb verschütteten Tasse Kaffee bleibt noch ein trinkbarer Rest; auch die Bedingungen ändern sich irgendwann wieder. Am vierten Tag ist es so weit: Der Wind nimmt ab, bläst aber endlich von der Seite ins Segel. Wunderbar!

 

Die kommenden Tage überzeugen davon, warum eine längere Überfahrt eben auch ihre ganz wunderbaren Seiten hat: Die unglaubliche Ruhe, die sich breit macht, die Netzfreiheit, der Cocon, der sich leicht über das Familienleben legt und in dem lange Gespräche, Lachen und die Zeit bleibt, Unstimmigkeiten auszufechten. Die Tage ziehen vorbei, füllen sich mit ganz alltäglichen Tätigkeiten und werden einmal mehr begleitet von unzähligen Stimmungsbildern, die die Sonne und die Wolken auf die Meeresoberfläche zeichnen. Nachts haben wir Glück, der Mond füllt sich immer mehr und so finden auch unsere Nachtschichten nicht in völliger Dunkelheit statt. Am frühen neunten Morgen schlagen wir schliesslich den Weg zu Küste hin ein und segeln unter Motor weiter. Wer medienaktiv ist, weiss warum: Vor der portugiesischen Küste gibt es Orca-Gruppen, die Segelschiffe mit Stössen gegen das Ruder manövrierunfähig machen. Unser Plan ist deshalb: Möglichst rasch durch die heikle Zone, hin zur Küste und dann innerhalb der 20m-Tiefenlinie bis ins Etappenziel, in den Hafen von Portimao. Wir kommen unbeschadet an und treffen gleich als erstes einen Segler neben uns, dessen Schiff aktuell in der Werft ist, weil er eine unangenehme Begegnung mit den beeindruckenden schwarz-weissen Meeresbewohnern hatte. Er ist nicht der einzige im Hafen, der Schock ist nachhaltig und die Menschen rüsten sich aus mit Firecrackern und Diesel, der ins Meer geleert werden und die Orcas stören soll. Und wir hoffen einfach, dass sich dieses Phänomen wieder auflösen wird, bevor die Tiere - deren Lebensraum wir ihnen streitig machen - zu schaden kommen.

 

Uns jedenfalls steht die Erleichterung ins Gesicht geschrieben und auch von Jan erhalten wir eine freudige Nachricht, er ist froh, dass seine Roci auch diese Passage unbeschadet gemeistert hat. In den folgenden Nächten holen wir den durch die Nachtschichten verlorenen Schlaf nach, tagsüber flicken wir hier und dort etwas am Schiff, entsorgen einiges, was nicht mehr mit in die Schweiz soll und freuen uns, Fernando wieder zu treffen, der hier Bootstouren für Tourist:innen anbietet und dessen Liegeplatz bereits letztes Jahr neben uns lag. Ausserdem nutzen wir die Zeit, wieder einmal ein Auto zu mieten und auch das Landesinnere ein bisschen kennenzulernen. Wir alle geniessen diese Ausflüge sehr, schliesslich rückt die Heimkehr immer näher. Bei einem entdecken wir unverhofft einen kleinen Park, wo früher eine Mine war und heute ein ehrwürdiges Haus einer vermögenden portugiesischen Familie zu besichtigen ist, ein hübscher Wasserfall durchs Grün plätschert und ein paar Ziegen sich um im Preis inbegriffene Häppchen streiten. Die Lage ist wunderschön, rundherum fällt der Blick über grüne Hügel und mittendrin schmettert in voller Lautstärke östliche Musik, die gute Laune verspricht. Von ihr angelockt, schon mit einem Fuss wippend, entdecken wir eine bunte Gesellschaft, der für Parkbesucher bereit gestellte Grill voll beladen mit riesigen Fleischstücken, hier und da zischt ein Bierdeckel. Sofort werden wir auf beides eingeladen, der moldawische Grossfamilienanlass wird kurzerhand um fünf Personen vergrössert und in unseren Händen halten wir innerhalb weniger Sekunden Fleisch und Bier, die unter 16 Jährigen Fanta. Wippend lecken wir uns die fettigen Finger und ziehen einmal mehr den Hut vor der osteuropäischen Gastfreundschaft.

 

Nach ein paar Tagen möchten wir noch einmal richtig in den Segelschiff-Alltag abtauchen, was heisst: An einer schönen Stelle ankern. Wir lösen die Leinen und tuckern nach Alvor, wo wir ein letztes Mal auf unserer Reise den Anker setzen. Wir merken einmal mehr: Die letzten Male häufen sich! Auf dem Wasser schaukelnd entspannen wir uns, nehmen uns Zeit für Schule und Arbeit und Lio, der in Portimao eine Grippe ausgebrütet hat, ist zum Glück wieder fit. Zweimal düsen wir mit dem Dinghy die etwas weitere Strecke ins kleine Städtchen, schlecken Glacé und spazieren in der Gegend herum, bis die Grippe leider auch Aurel und Susann erwischt. Ächz... Am ersten Tag hält sich zweitere noch einigermassen auf den Beinen, aber ersterer liegt total flach, dazu bläst der Wind mit Böen von 30 Knoten, was das Ankern an einem ungeschützen Ort nicht besonders gemütlich macht.

 

Tags darauf ist es Zeit für den letzten kurzen Schlag nach Vilamoura, der Hafenplatz ist reserviert. Der Ort, an dem Rocinante geputzt und gestriegelt und wir und unser Hab und Gut von Bord geht. Susann verbringt den grossen Teil der Fahrt schlafend in der Koje, heute hält der angeschlagene Aurel die Stellung und für das Anlegemanöver entfalten zwei sprudelnde Gläser Alca-C ihre Kraft. Fest vertaut schütteln wir ungläubig die Köpfe, besorgen Chips und etwas zum Anstossen und feiern zwar nicht alle ganz gesund, aber unversehrt, unsere Ankunft am Endpunkt unserer Reise. Leider werden tags darauf auch noch Nico und Janosch krank... Aurels Eltern Monika und Roman kommen zwei Tage später mit ihrem VW-Bus an, in dem das Material nach Hause reisen darf. Ein Glück für uns, die Organisation der Rückkehr wird so um ein Vielfaches einfacher. Dann geht es los: Räumen, Räumen, Räumen, Putzen, Putzen, Putzen; die Spuren von 13 Monaten Leben auf See vom Segelschiff putzen und gleichzeitig im Innersten konservieren.